Winterthur: Schaufenster für Egos

Kunzporsche

Seit mehr als 20 Jahren baut der Winterthurer Architekt Peter Kunz kompromisslose Betonwürfel für wohlhabende Schweizer mit einem Faible für radikale, moderne Architektur. Am liebsten aus Sichtbeton. Auf den ersten Blick wirken die Villen und Geschäftsgebäude allerdings wenig wohnlich.

Herdern – Wenn bei Sonnenaufgang die Porsches und Aston Martins in ihren grauen Betonwürfeln die Augen aufschlagen, schauen sie durch ein Panoramafenster auf die idyllische Schweizer Bergwelt rundum das kleine Dörfchen Herdern bei Frauenfeld im Kanton Thurgau. Bei gutem Wetter reicht die Sicht von den Österreicheralpen über den Säntis, die Churfirsten bis hin zum Dreigestirn des Berner Oberlands, dem Eiger, Mönch und der Jungfrau.

Hier hat der Architekt Peter Kunz fünf Würfel aus Sichtbeton in den Berghang gegraben, vier als Parkfläche mit Glasscheiben, einen für die Ein- und Ausfahrt. Die extravaganten Garagen, die wie individuelle Boxen in einem Schweizer Bankschließfach wirken, sind in den natürlichen Hangverlauf eingepasst.

Eingegraben in die Topographie der Umgebung bilden die fünf gleich großen Kuben einen überraschenden Kontrast zum naturnahen, alpenländisch-idyllischen Umfeld. Die Garagenwürfel aus dem Jahr 1999 waren ein Zusatzauftrag zu einer Villa, die Kunz wenige Jahre zuvor realisiert hatte. “Der Besitzer wollte seinen Lieblingen was bieten”, sagt Kunz lächelnd. Das war dem einflussreichen Designmagazin Wallpaper 2004 sogar einen ersten Platz in einem Architektur-Ranking wert.

Peter Kunz ist ein radikaler Ästhet. Sein bevorzugter Werkstoff ist Beton, für Kunz das edelste Material, mit dem man bauen kann. Er sorgt für die erwünschte Reduktion auf das Wesentliche und erzeugt gleichzeitig eine fast sakrale Wirkung.

Haus und Bewohner müssen erst zusammenfinden

“Beton ist einer der ältesten und bewährtesten Baustoffe. Am Baumaterial Beton fasziniert mich das Archaische, das Ursprüngliche, seine Robustheit und die daraus resultierende Ästhetik.” Kunz hat mit diesem spröden Werkstoff schon rund 150 Villen und Geschäftsgebäude gebaut, die auf den ersten Blick wenig wohnlich und gemütlich wirken. Es sind Bauten mit Ecken und Kanten, Gebäude mit Charisma.

“Für mich ist immer wieder interessant, wie die Häuser sich mit den Bewohnern weiterentwickelt haben- und wie Haus und Bewohner im Verlauf der Zeit zusammengefunden haben.” Dabei begrüßt er ganz ausdrücklich die Entstehung von Alterungsspuren wie Flechten und Wasserspuren auf den Bauwerken: “Ich empfinde das Altern und die Patina als Qualität. Ein wertiges Material altert mit Würde, wie eine edle Lederjacke, die immer schöner wird. Am Ende lerne ich selbst vom Gebauten.

Seit mehr als 20 Jahren baut der Winterthurer Architekt kompromisslos bewohnbare Betonwürfel für wohlhabende Schweizer mit einem Faible für moderne Architekturexperimente an die sonnenverwöhnten Hänge der Schweiz.

Vorbilder wie Luigi Snozzi und Richard Neutra lassen sich dabei nicht verleugnen, auch wenn Kunz jedem seiner Gebäude eine unverwechselbare Prägung verleiht. Kunz reiht sich dabei ein in eine Schweizer Architekturtradition, die in den 1990er Jahren als “Schweizer Kiste” bekannt wurde, und die schon nach allzu kurzer Zeit von neu aufkommenden Modeströmungen wieder verwässert wurde. Kunz ist einer der wenigen, die an diese fruchtbare Phase der Schweizer Architektur anknüpfen.

Wohnen wie im großen Einbauschrank

Woher seine Inspiration kommt? “Ein Architekt schöpft außerdem aus dem Erlebten und lässt sich auch gerne inspirieren von Bauten, die ihn auf seinen Reisen beeindrucken.” Werden seine radikalen Entwürfe denn sofort und ohne Einwände von den Bauherren akzeptiert und umgesetzt? “Die Kunden suchen diese Reduktion. Ihnen gemeinsam ist ihr Interesse an Architektur, Raumgefühl und Lichtstimmung, welche mit Emotionen verbunden sind. Es ist immer ein gemeinsamer Prozess, den wir mit unseren Bauherrschaften im Team angehen”, so Kunz.

Und bisher war das Feedback der Bewohner immer positiv? “Ja, mit vielen von unseren Bauherrschaften ist durch die enge Zusammenarbeit sogar ein freundschaftliches Verhältnis entstanden. Es ist wichtig, dass sich ein stetiger Austausch zwischen Bauherrn und Architekt einstellt, nur so kann ein gutes Bauwerk entstehen.”

Mittlerweile haben Kunz und sein Team schon zahlreiche Bauten realisiert, hauptsächlich Villen und Wohnhäuser, aber auch Schul- und Geschäftsgebäude wie einen Industriebau für die Kubo Immo AG in Effretikon oder den neuen Hauptsitz der Skyframe AG in Frauenfeld (momentan in Ausführung). Hier hatte Kunz schon 2001 ein Atriumhaus erstellt, das mit seinen präzise gesetzten Ein- und Ausblicken sorgfältig komponierte Durchblicke vom Haus in die Höfe und den Garten ermöglichte.

Immer wieder weicht Kunz dabei ab von den klassischen Grundrissen eines Wohnhauses: so ist das Herzstück seiner Lofthäuser in Volketswil eine 15 Meter lange Raumzone, die die durch ihre Kompaktheit den Charakter eines großen Einbauschrankes bekommt. Für ein Wohnhaus in Winterthur entschied sich Kunz für einen Z-förmigen Grundriss mit ausladenden Gebäudeflügeln, in denen private und halbprivaten Zonen miteinander verbunden sind. Auch in einem Wohnhaus in Oberwil sind die Außen- und Innenräume miteinander verwoben. Das Besondere an diesem Bau: Die Schlafräume sind als autonome Inseln konzipiert, ähnlich einer Hotelstruktur mit aneinandergereihten Gästezimmern. Eine Villa in Appenzell verkleidete Kunz mit Edelstahlbändern.

Ausblicke machen Kunst überflüssig

Dass die Architektur von Kunz dabei auch das Alte und das Neue harmonisch miteinander verzahnen kann, hat er vor allem mit der Wohnüberbauung des Projektes “Oberes Alpgut” bewiesen. Auf dem Gelände des alten Herrschaftsguts von 1659 sollten acht neue Villen entstehen und bestehende Wirtschaftsgebäude mit in die Überarbeitung der Baumasse einbezogen werden.

Teile der ursprünglichen Anlage wie Waldeinfriedungen, Hof- und Gartenmauern oder Portale und Zufahrten durch Baumalleen blieben erhalten und wurden ebenso zu Grundelementen der neuen Wohnanlage wie die neuen Stampfbetonmauern, die mit ihren charakteristischen Schichtungen und ihrer ausgeprägten Patinabildung die Stimmung des Ortes unterstützen.

Zu entdecken sind nun zehn eingeschossige Residenzen, die kompakt gepackt zwischen neun auf dem Gelände verteilten Betonscheiben positioniert sind. Die Anfahrt zu den Gebäuden ist mit Rampen, Treppen und Stichgängen streng inszeniert. In den Wohngebäuden trifft man auf ein spannungsvolles “Innen-Außen-Innen”-Raumgewebe mit privaten, fast klösterlich anmutenden Innenhöfen.

Ein weißer Gang führt zickzackartig in die offene Wohn-, Ess- und Küchenlandschaft, eine breite Glasfront gibt den Blick auf den 16.000 Quadratmeter großen Privatwald frei, präzise in die Decke geschnittene Oberlichter lassen das Tageslicht indirekt einfallen. Natur und Architektur scheinen wie ineinander verwachsen, der Wald dient dabei als Gemälde, das weitere Kunstobjekte im Gebäude oder an den kahlen Wänden überflüssig macht.

Radikale Kontraste

Viele Traditionalisten stoßen sich nach wie vor an der radikalen Ästhetik seiner Bauten. Die preisgekrönten Porsche-Garagen in Herdern wurden nicht von allen Anwohnern ins Herz geschlossen. Zu krass ist vielen der Kontrast zwischen alpenländischer Idylle und minimalistischen Formsprache.

Doch Kunz sieht – wenn überhaupt – ein ganz anderes Problem für Architekten und Bauherren in der Schweiz. Gerade wird im Land intensiv über ein neues Raumordnungsgesetz diskutiert, das die angebliche Zersiedelung und Zerstörung des idyllischen Alpenraums stoppen soll. Ist die alpenländische Idylle wirklich in Gefahr? “Ja, momentan wird enorm viel gebaut”, bestätigt Kunz. “Die Zersiedelung ist sicherlich ein ernst zu nehmendes Problem, dem es Einhalt zu bieten gilt. Die Verdichtung der Ballungszentren ist ein möglicher Lösungsansatz, noch wichtiger wäre jedoch die Wohn- und Arbeitssituation miteinander zu verbinden und somit die ganzen Pendlerströme zu minimieren.”

Auch dafür hat Kunz bestimmt schon einige radikale, innovative Konzepte in der Schublade. Es muss sich nur noch ein interessierter Bauherr finden.

Erschienen in manager magazin online, 24.05.2013:
http://www.manager-magazin.de/lifestyle/stil/a-900417.html

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