Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans, ist eine der am meisten unterschätzten Metropolen. Dabei gibt es viel zu entdecken: Etwas Moskau, etwas Istanbul, etwas Dubai – die Stadt am Kaspischen Meer positioniert sich als ambitionierter Hot Spot zwischen Europa, Asien und dem Nahen Osten.
Baku – Jahrhunderte lang galt der bizarr geformte Maiden Tower, der Jungfrauenturm am Rande der Altstadt von Baku, als das Wahrzeichen der Metropole am Kaspischen Meer. Nun lösen sich die architektonischen Landmarks der Stadt schon innerhalb weniger Jahre gegenseitig ab: Nur für kurze Zeit übernahm der Chrystal Palace, in dem auch der Eurovision Song Contest 2012 stattfand, diese Rolle als “city icon”.
Seit wenigen Monaten hat dies nun der beeindruckende Flames Tower übernommen. Wie riesige Flammen züngeln die drei Türme unübersehbar in den Himmel und überragen nicht nur die pittoreske Altstadt mit seinen verwinkelten Gassen und dem Shirwanshah-Palast aus dem 11. Jahrhundert, die seit 2000 zum Unesco-Weltkulturerbe gehören.
Fast 200 Meter hoch erheben sich die drei Flammen aus Stahl und Glas über den Terrassen des Stadtteils Sabail. Nebenan liegt das Parlament. Nachts werden die 70.000 Quadratmeter Glasfassaden der 36 Stockwerke von lodernden Flammen und den Nationalfarben des Landes illuminiert. Insgesamt wurden hier 1.500 Tonnen Baustahl und 235.000 Kubikmeter Beton verbaut
Im nördlichen der Türme hat gerade kürzlich das “Fairmont Baku Flames Tower” eröffnet, das zur Zeit wohl beste Haus am Platz. In der gerade laufenden Soft-Opening-Phase werden schon 140 der 318 Zimmer vermietet. Schon die 17 Meter hohe Lobby mit seinem gigantischen Kronleuchter untermauert den Anspruch auf den Spitzenplatz im Hotelgewerbe der Stadt.
Es herrscht Aufbruchstimmung
Der Lüster besteht aus 600.000 Kristallen und 840 Leuchten – befestigt an einem fünf Kilometer langen Drahtseil, so lang wie der Boulevard unten am Kaspischen Meer. In den anderen beiden Türmen der “Flames Tower” und im Fundament sind Luxus-Apartments, Büroflächen und Boutiquen, sowie Restaurants und ein Multiplex-Kino geplant.
Vom 19. Stockwerk der “Flames Tower”, dort wo sich die Lounge des “Fairmont Gold” befindet, schaut Edvena D’Souza gerne auf die Stadt hinunter. Seit einigen Monaten ist sie für Sales & Marketing des neuen Platzhirschen in Bakus Hotelszene zuständig, die mit einem Four Seasons, einem Hilton und einem JW Marriott ernstzunehmende Konkurrenz aufzuweisen hat.
Zuvor arbeitete Edvena in Abu Dhabi. Die Aufbruchsstimmung in Baku erinnert sie an die Atmosphäre in den Emiraten am Golf. Als sie die Wahl hatte, von Abu Dhabi nach Vancouver oder Baku zu gehen, entschied sie sich für die aufstrebende Metropole am Kaspischen Meer. “Und das nicht nur, weil es mir in Vancouver zu oft regnete”, lacht sie.
Von hier oben sieht man deutlich, wie sehr die Stadt architektonisch in verschiedene Teile auseinanderfällt – und mit welcher Geschwindigkeit sie den Sowjetmuff abzuschütteln versucht und sich neu erfindet: hier die Altstadt mit seinen engen Gassen und den Karawansereien, Moscheen und persischen Palästen, dort die mandelfarbenen Prachtboulevards aus der Zeit des ersten Ölrauschs, drum herum die neu verkleideten Bauten der Sowjetzeit.
Zaha Hadid und ein Trump Tower
Und immer wieder erheben sich in dieser Mischung aus Moskau und Istanbul die Zeichen der neuen Zeit: auf einem Pier hinter dem gigantischen, 165 Meter hohen Fahnenmast leuchtet der wabenförmige, rund 200 Millionen Euro teure “Chrystal Palace” hinaus in die Bucht von Baku, der extra für den Eurovision Song Contest 2012 erbaut wurde.
Auf einer großzügigen Plaza liegt das “Heydar Aliev Cultural Center” von Zaha Hadid, ganz in der Nähe der 130 Meter hohe Trump Tower, und unten am breiten “Bulvar” wird gerade das neue Teppichmuseum fertig gestellt, in Form eines – natürlich – aufgerollten Teppichs. Die kostbare Sammlung ist bisher noch im alten Lenin-Palast untergebracht.
Baku erlebt gerade seinen zweiten Ölboom. Schon einmal wurde die Stadt mit dem Reichtum aus dem Ölgeschäft geflutet, die Ölbarone von damals bauten südlich der Altstadt prachtvolle Gründerzeitvillen mit neugotischen und Jugendstil-Zitaten. In der Zeit von 1856 bis 1910 wuchs Bakus Bevölkerung schneller als die von London, Paris oder New York. 1873 wurden die ersten Ölquellen am Kaspischen Meer ausgebeutet, 1901 kam die Hälfte des Erdöls weltweit aus Aserbaidschan.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Ölfelder von Baku die größten der Welt. Auch die Brüder Nobel gehörten zu denen, die in dieser Zeit zu sagenhaftem Reichtum kamen. Über zehn Prozent der Preisgelder, die Bruder Alfred später für seine Nobel-Preise auszahlte, sollen in Baku erwirtschaftet worden sein.
Die Nobel-Brüder wurden in Baku reich
Bruder Ludvig, der nach der Pleite des Vaters Immanuel eine neue Auslastung für die Fabriken der Familie in St. Petersburg suchte, schickte seinen Bruder Robert 1873 ins wilde Aserbaidschan, um dort nach Bauholz Ausschau zu halten, vor allem Walnussholz für stabile Gewehrschafte.
Doch das Holz, das Robert fand, war schon verbaut – für Bohrtürme, die hundertfach im Land herumstanden und von einer neuen aufregenden Geschäftsidee kündeten. Robert nutzte die Gunst der Stunde und sicherte sich zahlreiche Anteile an den Ölquellen. Seine Brüder Ludvig und Alfred sowieso diverse andere Investoren beteiligten sich.
Um 1880 waren die Nobels der führende Ölkonzern in Baku. Vor allem neue Transportarten und -wege trugen zum Erfolg der Nobels bei. Während bislang das Rohöl zu Kerosin raffiniert in einfachen, leckenden Holzfässern transportiert wurde, setzten die Nobels darauf, das Öl gleich in dafür präparierte Schiffe zu pumpen. 1878 stach in Baku der erste Öltanker der Geschichte in See, die “Zoroaster”, benannt nach dem alten persischen Feuerkult der Region. Es dauerte nicht lang, bis die ersten Pipelines verlegt wurden.
Nach dem Sieg der Bolschewiki 1917 wurden die Ölbarone enteignet, die Nobels mussten Aserbaidschan verlassen. Wie viele Ölbarone Bakus hinterließen sie auch prachtvolle Architektur. Die Villa Petrolea, ein Herrenhaus von 1884, das in der berüchtigten “Schwarzen Stadt” lag und umgeben von einfachen Arbeiterbehausungen war, diente vor allem Ludvig fast 40 Jahre lang als luxuriöses Heim in Baku.
“Baku White City” statt “Schwarze Stadt”
Robert zog sich schon 1881 aus den Ölgeschäften zurück. 2008 wurde die Villa wieder hergerichtet und beherbergt heute den Baku Nobel Oil Club, die International Conference Hall und das Nobel-Museum. Auch die einst so abstossende “Schwarze Stadt”, die Slums der Ölarbeiter, die in den letzten Jahrzehnten von der Innenstadt Bakus verschluckt wurde, erhält ein neues Gesicht.
Im Rahmen des Stadtentwicklungsprojektes “Baku White City” sollen hier zahlreiche Wohn- und Bürogebäude entstehen, strahlend weiß und hoch in den Himmel aufragend. Das würde auch die aufstrebende Bauindustrie für die nächsten 20 Jahre beschäftigen.
Eines der Highlights der ambitionierten Neubauten ist mit Sicherheit das “Heydan Aliev Cultural Center” aus dem Büro der irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid. Sie habe noch nie ein so “flüssiges” Gebäude entworfen wie dieses, so die Pritzker-Preisträgerin von 2004. Man habe den monumentalen, kantigen Bauten der Sowjetzeit etwas entgegensetzen wollen.
“Das Gebäude soll ausdrücken, wie offen und der Zukunft zugewandt das Land heute ist”, so der Projektmanager und Architekt Saffet Kaya Bekiroglu. Und so fließt das Gebäude ohne harte Winkel sanft über die Plaza, die weiße Außenhaut schlägt Wellen und wirft dabei weiche Falten, die dem Komplex eine fast lebendige, organische Aura verschaffen.
Nachts ist Baku schöner als am Tag
Auch im Inneren des Gebäudes ist die Architektur der Star. Ohne sichtbare Stützen und Säulen öffnen sich strahlend weiße Räume ohne Grenzen. Leider haben die Kuratoren das phantastische Gebäude mit nicht sehr hochwertiger Kunst gefüllt.
Keines der Werke kann der Schönheit der erhaben weiten Räume etwas entgegensetzen: Neben einem sinnlich inszenierten Überblick über die Musik und Mode Aserbaidschans finden sich hier unter anderem Devotionalien aus dem Leben des “Vaters der Nation” Heydar Aliev, so zum Beispiel die Staatskarossen, die er als Präsident fuhr.
Baku ist eine der Städte, die nachts schöner sind als am Tag. Dann leuchten die Gründerzeitfassaden und alten Villen, die Prachtstrassen und City Icons, die Boulevards und Regierungsgebäude um die Wette. “Baku hat sich in einem beispiellosen Kraftakt von einer heruntergekommenen sozialistischen Bettenburg-Stadt zu einer lebenswerten Großstadt gewandelt, in der man sich manchmal fuhlt wie in Wien oder Paris”, sagt Thomas Winterstetter vom Stuttgarter Ingenieur- und Planungsburo Werner Sobek.
Das Unternehmen war als Subunternehmer verantwortlich für den Bau des Flames Tower und des Kulturzentrums von Zaha Hadid. Die 0,7 Prozent, die Aserbaidschan heute an der Weltproduktion von Öl und Gas hält, reichen offensichtlich, die graue Sowjetzeit endgültig hinter sich zu lassen.
Erschienen auf manager magazin online, 30.12.2013:
http://www.manager-magazin.de/lifestyle/reise/reisebericht-baku-die-architektur-der-hauptstadt-aserbaidschans-a-936778.html