Manitoulin Island/ Ontario: Grosse Insel, grosser Geist

Pow Wow und Glamping im Tipi: Auf Manitoulin Island im kanadischen Lake Huron vermarkten die Stämme der „First Nations of Ontario“ geschickt ihre Kultur und Tradition. Die nordamerikanischen Ureinwohner vom Stamm der Ojibwe bieten neugierigen Gästen Trommel-Workshops, nächtliche Kanutouren, Kräuterwanderungen, Übernachtungen in einem Luxus-Tipi und ein farbenfrohes Pow Wow – aber kein kitschiges Indianer-Disneyland.

„Mein spiritueller Name ist Little Hummingbird, Kolibri.“
Falcon Tabousegai vom Stamm der Ojibwe schaut fast etwas traurig, als er sich seinen neuen Gästen vorstellt.
„Als ich als kleiner Junge diesen Namen von den Stammesältesten bekam, war ich sehr enttäuscht. In diesem Alter träumt man noch davon, eines Tages Wilder Wolf oder Starker Bär zu sein, oder zumindest ein Rolling Thunder – aber Kolibri?“
Der Guide auf Manitoulin Island zuckt mit den Achseln. „Heute kann ich gut damit leben. Schließlich ist der Kolibri in unserer Kultur so etwas wie ein Bote, ein Kommunikator, ein Vermittler von Wissen.“

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Und das ist er tatsächlich: Falcon gehört zum Team des Great Spirit Circle Trail, einer Organisation, die Besuchern auf Manitoulin Island im Lake Huron in Ontario Leben, Geschichte und Kultur der „First Nations of Ontario“ zugänglich macht. Die mit 2.766 Quadratkilometern Fläche und einer Küstenlinie von 1.600 Kilometern größte in einem See gelegene Insel der Erde wird von den First Nations Kanadas die „Insel des großen Geistes“ genannt. Hierhin soll sich Manitou nach der Erschaffung der Welt zurückgezogen haben.

In M´Chigeeng liegt das Hauptquartier des Great Spirit Circle Trail, das Woodlands – Place of Gathering. Hier beginnt für die meisten der an indianischer Kultur und Vergangenheit interessierten Besucher der Insel ihre Reise in die Welt der Anishinaabe, eines Stammes, der aus den Unterstämmen der Ojibwe, Pottowatami und Oddawa besteht und noch mit rund 15.000 Mitgliedern in Ontario vertreten ist. Von hier aus organisieren Chefin Gladys, Falcon und seine Kollegen Steven Antoine und Marc zahlreiche Touren, Events und Workshops, um „unsere Kultur mit unseren Gästen zu teilen, nicht zu verkaufen“ macht Falcon deutlich. „Es war höchste Zeit, dass unsere Traumfänger nicht mehr aus Plastik sind und in China produziert werden“.

Die vier heiligen Kräuter

Vermittelt werden sollen „authentic aboriginal experiences“. So lernt man auf dem „Medicine Walk“ die vier heiligen Kräuter der Ureinwohner kennen: Tabak, Zeder, Weißer Salbei und Sweet Grass, einem einheimischen Kraut, das leicht nach Waldmeister riecht und wie die anderen drei heiligen Kräuter in heiligen Zeremonien verbrannt wird, um Mutter Erde zu danken. Zu Fuß, per Fahrrad oder auf dem Pferd entdecken Urlauber die Insel. Die Wanderwege wie der malerische Cup & Saucer Trail  führen sie durch dunkle Wälder, deren Tannen und Birken so eng stehen, dass nur wenige Lichtstrahlen durch die eng verschränkten Äste fallen. Bis sich der Weg weitet und den Blick freigibt auf schwindelerregend hohe Felsplateaus und die steil abfallende Küste: Zehn Meter unter den Wanderern schwappt das grünblaue Seewasser des Lake Huron an die Felsen.

Wer will, kann sich im „Woodlands“ auch das Trommeln und Trommelbauen beibringen lassen oder ein Ojibwe-Dinner mit Elch-Frikadellen und Karibou-Würstchen genießen.

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Tipi – Glamping

Hier stehen auch, umgeben von mächtigen Birken und Tannen die drei Tipis, in denen man übernachten kann, und zwar nicht eingerollt in einem feuchten Schlafsack auf nacktem Boden, sondern auf bequeme Matratzen gebettet und mit schönen Quilt-Bettdecken versorgt. Ringsum das Kingsize-Bett, an deren Seiten sogar Nachtschränkchen stehen, liegen dekorativ ein paar Büffelfelle auf dem Apfelholz-Fußboden. Zwei weiße Cocktail-Sessel runden den Komfort ab: Glamping – Glamourous Camping – vom Feinsten. Und morgens zum Aufwachen dann ein Bannock mit Blaubeermarmelade und einen Kaffee, oder besser: Schwarzes Wasser, das heiß und bitter ist und in einem Gefäß daherkommt. So sagen es die Anishinaabe.

Pow Wow als Familientreffen

Auch das alljährliche, Pow Wow genannte, Familientreffen der Ojibwe, von denen fast an jedem Wochenende eines irgendwo in Ontario stattfindet, ist offen für neugierige Besucher. An diesem Labour Day-Wochenende meint es Manitou allerdings nicht gut mit dem Wetter: Am ersten Tag des Pow Wow regnet es in Strömen. Eilig wird der Aufbau des mittlerweile 27. folkloristischen Stammestreffens ins Innere der Hockey-Arena in M´Chigeeng verlegt. Nun müssen die Tänzer mit dem nackten Betonboden vorlieb nehmen, statt ihre Runde auf der grünen Wiese zu drehen. Die Gruppe der Sänger und Trommler hat es sich in der Mitte der Spielfläche bequem gemacht, der MC, der „Master of Ceremony“ hat seinen Platz am Spielrand eingenommen und bespaßt die erwartungsvollen Anwesenden mit einigen anzüglichen Witzen.

Einige Tänzer werden noch von ihren Verwandten angekleidet und geschminkt, manche Tänzer laufen sich schon warm und stampfen rhythmisch durch die Halle. Diejenigen, die heute nicht in die alten Trachten schlüpfen, um selbst zu tanzen, sondern Freunde und Familienmitglieder anfeuern, tragen lässige, nordamerikanische Freizeitmode: Hoodies, Sweatshirts, Sneaker oder Cowboy Boots. Es ist ein Kommen und Gehen rund um die Tänzer, die gerade auftreten: da werden Verwandte, Nachbarn und Freunde begrüsst oder Fast Food auf Papptellern zwischen den anderen Zuschauen hindurch jongliert. Manchmal sieht man sie gemeinsam mit den Tänzern, die gerade nicht dran sind, lachend in der Raucherecke stehen.

Ringsum haben sich Familienmitglieder der Tänzer und zahlreiche Neugierige mit Fastfood und Fotoapparaten auf Campingklappstühlen am Rande der Arena eingerichtet. Hier hält auch der Häuptling, Chief Josef Hare, Hof, der ehrfurchtsvoll von den Familien- und Stammesmitgliedern begrüßt wird. Hinter ihnen stehen Journalisten und Touristen Schlange, um nach einer Fotoerlaubnis zu fragen.

Die anwesenden Touristen spüren, dass es heute nicht vorrangig um sie geht. Nicht für sie haben die teilnehmenden Tänzer ihre prachtvollen Trachten der Bell Dancer oder Grass Dancer angelegt, sondern für sich und die anderen First Nation-Mitglieder. Respektvoll halten sich die Gäste zurück, schlendern an den Souvenirständen entlang und achten auf die Ansagen des MC: er kündigt an, welche Tänze und Rituale nicht fotografiert werden dürfen. Dennoch sind die Gäste sehr willkommen. Immer wieder sieht man sie mit den Ojibwe-Tänzern, die sie nach einer Fotoerlaubnis gefragt haben, zusammenstehen und angeregt plaudern. Manche trauen sich sogar, an den für das Publikum offenen Tanzrunden teilzunehmen und die Schritte der Tänzer unbeholfen nachzuahmen. Auslachen tut sie niemand. Die Ojibwe freuen sich über ihre Neugier und ihren Respekt.

Von einer aufgesetzten Pocahontas-Inszenierung für den Tourismus ist hier wenig zu spüren. Die Veranstaltung ist intim und familiär, die Tänze auf sympathische Art nicht perfekt. Da rennt den Tänzern auch einmal ein kleines Kind zwischen die Beine, oder ein pummeliges Mädchen stolpert mit hochrotem Kopf zwischen den anderen Tänzerinnen umher, sichtbar froh, dass ihre Runde in der Arena nun vorbei ist. Egal, dabei sein ist alles, und das mit Stolz, Durchhaltevermögen und Würde. Schließlich geht es hier um mehr als um ein fröhliches Familientreffen mit Tanzeinlagen oder eine Touristen-Veranstaltung. Die Tänze sind „Dances of resistance”, Tänze des Widerstandes – Widerstand gegen die Schatten der Vergangenheit, als die Kinder der First Nations über mehr als 150 Jahre von der kanadischen Regierung und katholischen Ordensfrauen in unseliger Personalunion aus ihren Familien gerissen wurden, und ihre Sprache und Kultur verboten war, und das bis in die 1980er Jahre. Noch heute wollen viele der Älteren nicht über diese schlimme Zeit reden, über die Misshandlungen, die Zwangsarbeit, die Verbote, die Erniedrigungen.

Auch Chief Josef Hare beobachtet mit Wohlwollen, wie die jüngeren Generationen ihre historischen Wurzeln und ihr kulturelles Erbe wiederentdecken und den Besuchern auf Manitoulin Island näherbringen. Wie Falcon: Auch er ist auf dem Pow Wow anwesend und achtet genau darauf, dass während der heiligen Zeremonien im Rahmen des Pow Wow kein ignorantes Bleichgesicht auf den Auslöser seiner Kamera drückt. Heute meint es Manitou gut, das Wetter ist schön, man ist auf den traditonellen Pow Wow Ground am Rande M´Chigeengs umgezogen, der auch als Baseballplatz dient, mitsamt dem Anhang an Imbisswagen mit Ojibwe-Tacos und anderem Fast Food.

Am nächsten Tag sitzt Falcon schon wieder im Kanu und paddelt auf den Lake Otter hinaus. Als er den anderen Kanufahrern beim Sonnenuntergang mitten auf dem See die Geschichte seiner Tante erzählt, die einmal zum Fischen auf diesen See herausgefahren sei, als das Wasser zu kochen begann und sich schwarz färbte, und die „Water Lynx“ – eine riesige Seeschlange mit puscheligen Raubkatzenohren – sie in die Tiefe ziehen wollte, beeilen sich die Touristen doch, schnell wieder an Land zu paddeln. Wer weiß schon, welche Geschichten der Ojibway wahr sind, und welche nur Legende.

Weitere Infos:

Manitoulin Island: www.manitoulin-island.com, www.manitoulintourism.com
Great Spirit Circle Trail: www.circletrail.com
Tipi Glamping: www.spiritislandadventures.com
Pow Wow Kalender: www.powwows.com

Wie kommt man auf die Insel?

  1. Flug von Toronto nach Sudbury und Mietwagen nach Manitoulin Island, ca. 150 km, 2 Stunden Autofahrt.
    oder
  2. Autofahrt von Toronto nach Tobermory (ca. 300 km), und dann mit der Chi-Cheemaun-Fähre nach South Baymouth auf Manitoulin Island (ca. 2 Stunden).

Erschienen als Bildergalerie auf Süddeutsche Zeitung online, 08.10.2014:
http://www.sueddeutsche.de/reise/kanada-pow-wow-auf-manitoulin-island-1.2164181

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