Selfmade-Multimillionär, Kunstmäzen, Triathlet und TESLA-Fahrer: Skuli Mogensen ist einer der schillerndsten Unternehmer Nordeuropas. Der Isländer hat sich sogar getraut, eine weitere Billigfluglinie zu gründen. Und WOW Air hat Erfolg. Seitdem ist Skuli für viele der isländische Richard Branson
„Das Leben ist zu kurz, um Geschäfte mit langweiligen Leuten zu machen.“
Seit die isländische Billigfluglinie WOW Air vor gut zwei Jahren ihren Betrieb aufnahm, haben die Angestellten am Flughafen Keflavik wieder Spaß an ihrer Arbeit. Unbemerkt von den Reisenden, die des Isländischen nicht mächtig sind, erfreut WOW Air mit seinen launigen Durchsagen vor allem das inländische Servicepersonal am Boden. Auch der Mann an der Sicherheitskontrolle grinst, als eine weitere Durchsage durch das Flughafengebäude hallt: „Die Fluggäste, die als Letzte am Gate sind, müssen die Toiletten putzen,“ übersetzt er lachend den gutturalen Klangsalat, der aus den Lautsprechern tönt.
Auch bei den Fluggästen setzt der neue Low Cost Carrier auf dem europäischen Reisemarkt alles daran, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Sitzt man im Flieger und lenkt seinen Blick auf die Konsole über einem, auf der Lüftung, Beleuchtung und der Alarmknopf für die Cabin Crew platziert sind, liest man dort: „Honk, if you´re hungry“ oder auch „Ring my bell“. Schaut man nach draußen auf die Tragflächen des Flugzeugs, steht dort: „Enjoying the view?“ Und während man auf der Toilette in den Spiegel schaut, wird man mit der Frage konfrontiert, ob man wirklich nicht mit Tom Selleck verwandt sei. Da fällt dann auch nicht weiter auf, das selbst auf dem Anhänger, der das Handgepäck als kontrolliert markiert, noch ein kleiner Witz untergebracht ist: „You shall pass“, steht dort pseudo-bedeutungsvoll geschrieben. Und auf dem WOW-Kugelschreiber findet man den Spruch: „All ….writee then!“.
Selbst auf der Kotztüte ist noch Platz für den WOW-eigenen Humor. Dort zeigt das „Vomit-Meter“ an, welche Belästigungen zu welcher Füllhöhe der Tüte führen könnten: von der Panflötenmusik im Flieger über die Witze des Piloten, das Parfüm des Sitznachbarn, den monotonen Blick aufs Meer oder obszön geformte Wolken bis zur Aussprache isländischer Wörter. Grund für die höchste Füllhöhe der Tüte: die Ticketpreise der Mitbewerber.
Die Humoroffensive des WOW Air-Marketings ist nicht nur ein geschicktes Manöver, den Fluggast von der Tatsache abzulenken, dass z.B. ein halber Pappbecher Kaffee mit fast fünf Euro zu Buche schlägt oder der Wechsel in die Sitzreihe am Notausstieg mit zusätzlichen Kosten verbunden ist – es ist Strategie, Konzept und Alleinstellungsmerkmal einer Fluggesellschaft, die es mit dem Slogan „High performance, low cost“ und dem ganz eigenen, so genannten „WOW-Faktor“ tatsächlich geschafft hat, auf dem engen europäischen Markt für Billigflugreisen noch erfolgreich eine Nische zu besetzen, und zwar mit einem ganzen Bündel an Versprechen: „Niedrigere Preise, neuere Flugzeuge, Pünktlichkeit und das strahlendste Lächeln.“
Dazu gehört Mut, oder? Auf diese Frage setzt auch Skuli sein strahlendstes Lächeln auf, als er in verschwitzter Radfahrermontur in der WOW-Farbe Lila das Hauptquartier in Reykjavik betritt. Er kommt gerade von der letzten Trainingseinheit zurück, mit der er sich auf den WOW-Cyclothon vorbereitet, ein 1.332 Kilometer langes Radrennen „around Iceland in the midnight sun“, das Ende Juni stattfinden soll. 72 Stunden lang werden 500 Radfahrer zugunsten der WOW-Stiftung „Save the children“ die Insel umrunden.
„Es war wohl eher eine Mischung aus Bauchgefühl und guter Beratung“, so Skuli, warum er ausgerechnet eine Billigfluglinie gründete. Als er nach dem Bankencrash Ende 2008 nach Island zurückgekehrt sei, habe er schnell festgestellt, dass es nur noch drei interessante Wachstumsmärkte in seinem Heimatland gab: den Fischerei-Markt, der allerdings streng durchreguliert ist, der Markt für Alternative Energien, und vor allem der Tourismus-Markt in Island, der durch die Entwertung der isländischen Währung extrem attraktiv für neue Zielgruppen wurde, die sich das Land mit seinem hohen Preisgefüge bisher nicht leisten konnten. „Dieser Markt wächst jährlich um bis zu 20 Prozent“, begeistert sich Skuli. Ein von der isländischen Tourismusindustrie in Auftrag gegebener Report der Boston Consulting Group bestätigt das. Man hat völlig neue Zielgruppen ausgemacht: „Affluent Adventurers, Older Relaxers, Emerging Markets Explorers und City Breakers“ würden zunehmend Island als neue Traumdestination entdecken. Da lag es nahe, sich auf diesem Markt zu engagieren, meint Skuli: „Es war auf jeden Fall das nächste Abenteuer, die nächste Herausforderung, die ich suchte…“
„Herausforderung“, das ist ein Kernbegriff seiner Lebensphilosophie, so Skuli. Er habe stets Angst, stehen zu bleiben. Abseits bekannter Muster zu agieren, und immer wieder neue, überraschende Wege zu gehen, das prägte schon immer Skulis Verhalten, erzählt er. „Schon damals als Kind, als meine Familie zwischenzeitlich in Schweden lebte, war ich das schwarze Schaf der Familie, arrogant und ungeduldig“, erinnert sich Skuli lächelnd, „ich wusste immer alles besser. Und ich war schnell gelangweilt.“ Als schwarzes Schaf war es fast folgerichtig, dass Skuli keine praktische, gradlinige Berufsausbildung anstrebte, sondern ein Studium der Philosophie begann. „Besonders hatten mich die Existentialisten fasziniert.“
Hat er etwas von der Philosophie lernen können, dass für ihn später im Business nützlich war? „Dem Offensichtlichen zu misstrauen, und alles erst einmal anzuzweifeln“, antwortet er sofort. Doch als professioneller Denker wollte er sein Leben dennoch nicht verbringen: „Während des Studiums merkte ich schnell, dass ich doch eher praktisch veranlagt bin“. Dass er dann noch an der Uni das Software-Unternehmen OZ Communications gründete, sei eher Zufall gewesen: „I´m an accidental business guy.“
Das klingt fast kokett für jemanden, der neben OZ Communications in kurzer Folge noch weitere Unternehmen gründete. Zwischendurch brachte Skúli noch Islandssimi an den Start, die Keimzelle von Vodafone Iceland und mittlerweile Islands zweitgrößter Mobilfunkanbieter, außerdem CAOZ, das größte Animationsstudio Islands, das den ersten komplett 3D gestalteten Film Islands erstellte: „Thor-The Legends of Valhalla“.
Kein Wunder, dass er Ende 2008 nervös wurde, als er die dramatische Ansprache des isländischen Premierministers Geir Haarde im Fernsehen mitverfolgte. „Gott schütze Island“, schloss Haarde seine ratlose, fast verzweifelte Rede an die Bürger seines Landes, das durch den Bankencrash so heftig abzustürzen begann wie kein anderes europäisches Land. Zu dieser Zeit lebte Skuli gerade in Kanada – und spürte sofort, dass in seinem Heimatland die nächste Herausforderung auf ihn wartete. In den Jahren davor hatte er OZ Communications selbst vor dem Bankrott retten müssen, nachdem das Unternehmen auf 200 Mitarbeiter angewachsen war und 100 Millionen Kopien seiner Software an alle wichtigen Handyhersteller verkauft worden waren. Nun hatte er gerade den Verkauf von OZ an Nokia unter Dach und Fach gebracht und war über Nacht zu einem sehr reichen Mann geworden. „Ich hatte plötzlich mehr Geld, als ich jemals in meinem Leben hätte verbrauchen können“, erinnert sich Skuli, „da dachte ich: ich muss zurück nach Island. Mein Land braucht mich – und mein Geld.“
Er beteiligte sich an einem Konsortium zur Bankenrettung, ab 2010 leitete er eine Gruppe von Investoren, die nach dem landesweiten Bankencrash die MP Bank wieder zum Leben erwecken sollte. Bis heute ist er Vizevorsitzender der MP Bank.
War das denn wirklich nur ein Akt des Patriotismus, oder auch eine gute Investment-Chance? „Wohl beides, wenn ich ehrlich bin“, grinst Skuli, „man sagt ja nicht umsonst, dass man nur in die Dinge investieren soll, die man kennt. Und Island kannte ich.“ Nach dem Nokia-Deal habe er mehr Geld gehabt als er jemals brauchen würde. „Ich konnte nicht still sitzen, und dachte, das sei eine gute Sache.“
Hat er in dieser Zeit Lust bekommen, sich noch stärker in die Landespolitik einzumischen, und vielleicht sogar selbst das Amt des Premierministers anzustreben? In einem Land, das einen Komiker zum Bürgermeister der Hauptstadt Reykjavik wählt, müssten doch die Chancen für Quereinsteiger sehr gut sein. „Nein, das war und ist keine Option, dazu bin ich zu ungeduldig. Politik ist ein System, das dir nicht erlaubt, schnell Dinge zu gestalten und umzusetzen.“
Dann schon lieber eine eigene Fluggesellschaft gründen: Im November 2011 wurde WOW Air aus der Taufe gehoben, am 31. Mai des darauffolgenden Jahres war es dann endgültig soweit: Von Keflavik aus hob die erste Maschine mit dem violetten WOW Air-Logo Richtung Paris ab. Bis zum Ende des Jahres konnte WOW Air 112.223 Fluggäste an Bord begrüßen, in 2013 hatten sich die Passagierzahlen schon auf 412.583 fast vervierfacht.
Im Oktober 2012 übernahm WOW Air zudem noch den Flugbetrieb von Iceland Express. Nur ein Jahr später, im Oktober 2013, wurde WOW Air das Air Operator‘s Certificate (AOC) vom isländischen Verkehrsverbund vergeben. Dieses Zertifikat gibt dem Unternehmen die Kontrolle über alle Vorgänge der Fluggesellschaft, d.h. das Unternehmen ist nicht mehr von anderen Fluggesellschaften abhängig. In 15 europäischen Städten, von London, Paris oder Berlin, von Zürich, Lyon, Mailand, Warschau, Vilnius, Kopenhagen oder Salzburg, sammelt WOW Air mit nur vier geleasten A-320 preisbewusste Island-Touristen ein und bringt sie nach Keflavik. Die Isländer selbst sind dankbar, dass sie nun für kleines Geld sogar in die spanische Sonne fliegen können, nach Alicante oder Barcelona.
In diesem Jahr sind mit Stuttgart und Düsseldorf zwei weitere deutsche Destinationen hinzugekommen. Nur die Ausweitung des Streckennetzes Richtung Nordamerika ist für 2014 ausgebremst worden. Eigentlich sollten zum Sommer auch Flüge nach New York und Boston angeboten werden. Doch der Flughafen von Keflavik hat keine Start- und Landekapazitäten mehr frei. Die Eroberung des internationalen Langstreckenmarktes ist daher auf 2015 verschoben.
Doch auch von dieser kleinen Wachstumsbremse lässt Skuli sich nicht beeindrucken, die Airline wächst und wächst. Auf den Etagen im lilafarbenen Gebäudewürfel an der Katrinatun in Reykjavik müssen immer mehr Mitarbeiter untergebracht werden, die Schreibtische stehen immer enger beieinander. Als WOW Air im letzten Dezember eine Gruppe deutscher Reisejournalisten zu einem Meet & Greet ins WOW-Hauptquartier in Reykjavik eingeladen hatte, wurden die Häppchen noch in einer Ecke des Großraumbüros gereicht, an deren Wand eine Fotoserie des dänisch-isländischen Künstlers Olaffur Eliasson hing: „Cars in Rivers“ hieß dieses Werk, das der Künstler aus zahlreichen privaten Fotos komponiert hatte. Zu sehen waren Dutzende von SUV´s, die irgendwo in der isländischen Natur steckengeblieben waren und mühsam von ihren Besitzern aus dem Schlamm gezogen wurden.
Was interessiert ihn überhaupt an moderner Kunst? „Ich schaue immer nach der positiven Überraschung, die in einem Werk steckt“. Kann er sich denn ein von ihm gestiftetes Museum für Moderne Kunst in Reykjavik vorstellen, ein „Skuli Mogensen Center of Modern Art“, gebaut von einem berühmten Architekten? „Das würde ich nicht ausschließen…“ grinst er.
Nur wenige Wochen später sind die Bilder ins Privathaus von Skuli übergesiedelt, und die Nische steht voller Schreibtische. Und zu den 170 Mitarbeitern sollen aufgrund des Erfolges der Airline sogar noch weitere hinzukommen. Vor ein paar Wochen rief die Airline auf Wachstumskurs zu einem Casting. 1.200 Isländer bewarben sich um einen der neuen WOW-Jobs, eine erstaunliche Zahl bei einer Bevölkerung von 300.000 Menschen auf der gesamten Insel. „Wir hatten sogar Schauspieler, Anwälte, Krankenschwestern, Lehrer, Tänzer, Ingenieure oder Sportler unter den Bewerbern“, so Ragna Emilsdottir, Manager Cabin bei WOW Air. Ein Beleg für die Attraktivität von WOW Air als Arbeitgeber oder eher ein Zeichen für den angespannten isländischen Arbeitsmarkt?
300 Bewerber wurden zu einem großen Qualifikationsevent eingeladen, immer auf der Suche nach dem WOW-Faktor bei den zukünftigen Mitarbeitern. „Der WOW-Faktor ist wie ein Gewürz, eine geheime Zutat; unwirklich und trotzdem fühlbar. Kurz gesagt, wir sind freundlich und gut drauf“, erklärt Ragna.
Asta Bjarandottir, der Chief People Officer bei WOW Air, ergänzt: „Das kann eine Kombination unterschiedlichster ungewöhnlicher Dinge sein, vor allem aber, dass die neuen Mitarbeiter glücklich wirken und lebendig sind und in der Lage, auch einmal „out of the box“ zu denken.“
Fast könnte man meinen, die Gründung einer Fluggesellschaft sei heutzutage ein Hobby gelangweilter Ölscheichs aus der Golfregion oder Milliardäre wie Richard Branson, der seinem schon riesigen Virgin-Imperium auch noch eine Billigfluglinie hinzufügte. Ein Grund, warum Skuli oft der „Richard Branson Islands“ genannt wird. „Das ist zwar sehr schmeichelhaft“, meint Skuli, „ aber da wir uns noch nie getroffen haben, kann ich nicht beurteilen, wie ähnlich wir uns sind.“ Auf jeden Fall habe er einige von Bransons Business-Regeln übernommen, nach dem Motto: „Copy, improve, execute.“ Und vielleicht würde Branson umgekehrt auch eine seiner Business-Regeln unterschreiben: „Life is too short to do business with boring people.“
In den letzten Monaten tauchte Skuli sogar selbst von Zeit zu Zeit als Steward an Bord seiner Flieger auf, um die Passagiere persönlich zu bedienen und zu bespaßen – zwar nicht wie Richard Branson, der kürzlich einmal in Strumpfhosen, Stöckelschuhen und Make up seine Fluggäste als Virgin-Stewardess „in drag“ überraschte, aber immerhin. Doch das gehört wohl der Vergangenheit an: „Die Luftfahrtbehörde hat mir offiziell verboten, als Cabin crew member zu arbeiten. Dafür müsste ich vorher mein Examen machen“.
Es gibt wohl kaum eine Branche mit einer schlechteren Ökobilanz als eine Billigfluglinie. Da wirkt es fast, als wären Skulis Liebe für die Sportwagen von Tesla und seine Business-Aktivitäten im Bereich der erneuerbaren Energien so etwas wie ein Feigenblatt, oder besser eine Wiedergutmachung für die durch den Flugverkehr verursachten ökologischen Schäden. In der Nähe des Stadtflughafens von Reykjavik versorgt ein geothermisches Kraftwerk nicht nur die Insel mit Energie, sondern auch die berühmte Badelandschaft „Blauen Lagune“, die jährlich tausende Besucher anzieht, mit leuchtend blauem, heißem Wasser voller Kieselsäure. Das dabei entstehende CO2 wird von einer Anlage der Firma Carbon Recycling International (CRI) in Biomethanol umgewandelt. Drei Millionen Liter des Biotreibstoffs will CRI in diesem Jahr produzieren, drei Prozent der Weltproduktion. Skuli ist zu 25 Prozent an der Firma beteiligt. Auch sein Tesla, der vor der Firmenzentrale parkt, läuft vollständig mit Biomethanol. Mit dem macht er sich nun auf zum nächsten Termin. Langsam lässt er sich den Hügel hinunter Richtung Hafen rollen. Am Kreisverkehr umrundet er das letzte Kunstwerk, das er der Stadt spendiert hat: ein metallenes Etwas in den Farben von WOW Air. Zufall? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Erschienen in Business Punk und PUNKT (CH)