Maine: Auf nach Hummerland

Maine gehört zu den US-Trendreisezielen dieses Jahres. Das liegt wohl nicht nur an den ländlichen Postkarten-Idyllen und zauberhaften kleinen Hafenstädtchen New Englands: Überall kann man für wenig Geld Hummer geniessen: in einfachen Diners, Shacks und an den Piers der Hafenstädte.

Hummer Maine 14

Wenn Tom Martin die erste Hummerfalle aus dem Wasser hinauf aufs Boot zieht, kommen nicht nur die Touristen näher, die an der Hummertour in der Casco Bay vor Portland/ Maine teilnehmen. Auch ein paar hungrige Möwen wollen wissen, ob sich eines der Krustentiere in die Falle verirrt hat. Lauernd staksen sie auf dem Dach der „Lucky Catch“ herum, auf der Tom mit seinen neugierigen Gästen an Bord die zahlreichen Gitterboxen zwischen dem Leuchtturm von Cape Elizabeth, den alten Forts, den bewohnten Sommerfrische-Inseln und den Seehundfelsen abfährt. Viele der 6.000 „Lobstermen“ in Maine verdienen sich mit solchen Exkursionen noch etwas dazu.

Oft sind nur Krebse in den Boxen zu finden. Und wenn ein Hummer in der Falle ist, heisst das noch lange nicht, dass er auch zum Verzehr freigegeben ist. Als Schutz vor Überfischung haben die Behörden eine ganze Reihe Regeln aufgestellt: Maine erlaubt nur die Befischung von Hummern zwischen 81 und 127 Millimetern Körpergrösse. So soll sichergestellt werden, dass nur Hummer gefangen werden, die sich schon mindestens einmal fortgepflanzt haben.

Mit einer Schublehre misst Tom die Länge des mittleren Körpers und prüft auch, ob nicht etwa ein schwangeres Weibchen in die Falle gegangen ist, erkennbar an den vielen kleinen Eiern, die am Körper hängen. Sie haben den Nachwuchs für rund ein Jahr am Körper kleben, dann machen sich die Larven selbständig. Nur ein Zehntel wird älter als sechs Wochen. Vier bis sieben Jahre dauert es, bis ein Hummer ausgewachsen ist. Im „Maine State Aquarium“ in Boothbay Harbor lebt ein Hummer-Opa, der sogar das stolze Alter von 100 Jahren erreicht haben soll. Ein Hummer der kleinsten erlaubten Körpergrösse wiegt rund ein Pfund, die grössten um die dreieinhalb. Die delikatesten haben ein Gewicht von rund eineinhalb Pfund.

Vom ersten Wochenende im Mai bis zum letzten Wochenende im Oktober finden Toms Hummer-Ausflüge mit der „Lucky Catch“ in der Casco Bay statt. Sie starten vom Pier der Long Wharf und führen bis zum Leuchtturm von Cape Elizabeth. Nur samstags nach 16 Uhr und an jedem Sonntag im Juni, Juli und August erlauben die strengen Artenschutzauflagen des Staates keine Exkursionen. Dann haben selbst die Hummer ein freies Wochenende.

Die gefangenen, verzehrbaren Hummer können an Bord der „Lucky Catch“ gekauft und gleich nach der Rückkehr an Land auf der Long Wharf bei der „Portland Lobster Company“ zubereitet werden, die schon diverse Preise für die „beste Terrasse“ oder die beste Lobster Roll eingeheimst hat. Serviert wird der mitgebrachte Hummer mit Baked Potatoes oder Pommes, dazu einen Maiskolben, corn on the cob. Frischer geht´s nicht.

Dass an den Krustentieren zwischen Newfoundland und North Carolina trotz strenger Fangquoten kein Mangel herrscht, zeigt schon das Angebot auf den Speisekarten der Shacks und Restaurants. Da gibt es Lobster stuffed with Lobster und ein Schellfischfilet kommt oft mit einer Kruste aus Hummerfleisch auf den Tisch. Neben der klassisch-rustikalen Art, den gekochten Hummer mit Brötchen, Butter, Maiskolben, flüssiger Butter und Cole Slaw zu servieren, ist die Lobster Roll extem beliebt. Sie ist nicht mehr als ein weiches Hot Dog-Brötchen, dass vor ausgelöstem Hummerfleisch fast überquillt, wahlweise in Butter oder Mayonaise schwimmend. Köstlich. Die besten in der Region Greater Portland soll es rund 15 Minuten Autofahrt von der Long Wharf in Portland entfernt im „Lobster Shack at Two Points“ geben. In der Nähe des Leuchtturms von Cape Elizabeth, kann man mit Blick auf die felsige Küstenlinie draussen an rustikalen Picknicktischen besonders üppig gefüllte Lobster Rolls geniessen.

Ein paar Autostunden die Küste hinauf, vorbei an malerischen Hafenstädtchen wie Rockport oder Camden, findet sich direkt am Pier des kleinen Hafens in South West Harbour auf der Insel Mount Desert Island ein ganz besonderer Lobster Shack: „Beal´s Lobster Pier“. Jeden Tag bilden sich lange Schlangen auf dem Steg, wo gegen 14 Uhr die Lobstermen mit ihrem frischen Fang zurück nach Hause kommen. Nur wenige Stunden später liegen die Krustentiere auf dem Pappteller, zusammen mit der üblichen Garnitur.

Dass das Hummerknacken eine ziemliche Sauerei ist, haben die Betreiber berücksichtigt. Zum Hummer erhält man eine Plastikschürze mit der Aufschrift „Time to get cracking!“. Dazu gibt es einen Flyer mit genauen Instruktionen, in welchen Körperteilen das schmackhafte Fleisch zu finden ist. Dass Hummerfleisch weniger Fett und Kalorien hat als mageres Rindfleisch, gebratene Eier und selbst Hühnerbrust ohne Haut, wird ausgeglichen mit einem weiteren Schälchen flüssiger Butter.

2013 kamen 85 Prozent der in den USA gefangenen Hummer aus Maine. Die Industrie wächst, trotz aller Selbstbeschränkung. Auch wegen der neuen Lust der Chinesen auf Hummer aus den USA: der Wert der Ausfuhren stieg von 2,1 Millionen Dollar in 2009 auf über 90 Millionen Dollar im letzten Jahr. Insgesamt tragen die Hummer aus Maine eine Milliarde Dollar zum Bruttoinlandsprodukt der USA bei. Im letzten Jahr wurden rekordverdächtige 126 Millionen Pfund/ 63.000 Tonnen Hummer angelandet, die müssen erst einmal vermarktet und verzehrt werden. Governeur Paul R. LePage hat sogar eine nationale Werbekampagne gestartet: er schickte Kartons voller Hummer-Produkte aus Maine an die Governeure der 49 anderen US-Bundesstaaten. Auch sie sollten sich für den „Flavour of Maine“ begeistern.

Hummer Maine gotlobstah

Wie bei vielen kostspieligen Deilkatessen von heute, waren auch Hummer noch bis vor 150 Jahren Arme-Leute-Essen, „poverty food“. Für die Farmer der Kolonialzeit noch nicht einmal das: sie warfen die Hummer als Dünger auf die Felder. Es gab einfach zuviele. Gefangene und Arme wurden damit ernährt, Fischer sahen sie nur als Beifang. Bis 1840 gab es keinen kommerziellen Hummerfang. Damals wurden die Tiere seltener und damit auch wertvoller. Als amerikanische Fischer einen Tank entwickelten, in dem die Tiere lebend über lange Strecken transportiert werden konnten, belebte sich das Geschäft deutlich. Der Durchbruch kam mit der Erfindung, Nahrungsmittel in Blechdosen zu konservieren. So konnten die Hummer selbst bis nach Kalifornien exportiert werden.
Um die Jahrhundertwende beschleunigte sich mit dem Ausbau des Eisenbahnschienennetzes der Ferntransport noch einmal: die Hummer wurden in Waggons voller Algen und Eis ins ganze Land geschickt. Ab den 1950er Jahren lernten die Hummer sogar das Fliegen. Per Flugzeug konnten sie schon am nächsten Tag an jedem Ort der USA verzehrt werden.

Apropos Fliegen: am Flughafen von Portland/ Maine kann man auf den allerletzten Drücker noch einen Hummer aus Maine mit auf Reisen nehmen, gefroren oder lebendig. Ob die Fluggesellschaften dafür einen Haustierzuschlag verlangen, wenn der lebende Hummer im Pappkarton mit an Bord kommt, ist nicht bekannt.

 

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